Interdisziplinäre Arbeitsgruppe

KONFLIKTLANDSCHAFTEN


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Ozarichi 1944

Die Konzentrationslager bei Ozarichi wurden am 12. März 1944 im Operationsgebiet der 9. Armee der Wehrmacht (Heeresgruppe Mitte) angelegt, ca. 120 Kilometer südlich der Stadt Bobruisk in Belarus. Sie existierten jedoch lediglich bis zum 19. März desselben Jahres, denn ihr einziger Zweck bestand darin, dass sich die 9. Armee während eines koordinierten militärischen Rückzugs derjenigen Zivilisten entledigen konnte, die sie für „arbeitsunfähig“ erachtete. Diese Zivilisten ("unnütze Esser") wurden systematisch im gesamten Armeegebiet erfasst, in ein System frontnaher Lager bei Ozarichi deportiert und schließlich dort zurückgelassen, so dass sie ins Niemandsland zwischen den sich zurückziehenden deutschen Truppen und der sich auf dem Vormarsch befindlichen Roten Armee gerieten. Den Deportationen von Ozarichi, einem der größten Kriegsverbrechen der Wehrmacht in Belarus, fielen etwa 50.000 Menschen zum Opfer, rund 9.000 Menschen wurden ermordet oder starben an Unterkühlung, Krankheiten oder Hunger. 

Eine ausführlichere Darstellung von René Rohrkamp und Christoph Rass findet sich hier in englischer bzw. deutscher Sprache. 

Konfliktlandschaft Ozarichi

Die Untersuchung des Kriegsverbrechens, das unter der Bezeichnung „Deportationen von Ozarichi“ oder „Todeslager von Ozarichi“ in der Forschung behandelt und in der belarussischen sowie deutschen Erinnerungskultur verankert ist, ist eines der ersten Forschungsprojekte von Christoph Rass zu gewaltüberformten Orten als Konfliktlandschaften.

Nach einer ersten umfassenden Rekonstruktion und Analyse des Ereignishorizonts (Rass, Menschenmaterial, 2003) erfolgte im Rahmen weiterer Forschungen 2004 eine zehntägige Exkursion mit einer eingehenden Prospektion der Tatorte sowie der räumlichen Dimension der Operation, aus der u.a. der Dokumentarfilm „Ozarichi 1944“ (2006) hervorgegangen ist.

Während das Ziel der Auswertung von Dokumenten und der Bericht von Überlebenden bzw. Zeitzeug/innen war, die Ursachen und Abläufe der Deportationen zu rekonstruieren und die Erinnerungen und Erinnerungskultur zu verstehen, hat die Prospektion der Konfliktlandschaft Ozarichi dazu gedient, die geschichtswissenschaftlichen Befunde sowie unterschiedliche Darstellungen und Narrative auf konkrete Orte in ihren Raumbeziehungen zu projizieren. Wesentlich dabei war auch die genaue Ermittlung einzelner Tatorte, der Deportationswege sowie insbesondere der eigentlichen Lagerstandorte.


Interview mit Prof. Dr. Christoph Rass über seine Forschungen zu Ozarichi

Veröffentlichungen aus dem Forschungsprojekt

  1. Christoph Rass: Kinder und Kranke als „unnütze Esser“. Der Umgang der deutschen 9. Armee mit der Zivilbevölkerung Weißrusslands 1943/44, in: Diskriminiert – vernichtet – vergessen. Behinderte in der Sowjetunion, unter nationalsozialistischer Besatzung und im Ostblock 1917–1991, hrsg. von Rainer Hudemann, Stuttgart 2016, S. 451-488.
  2. Christoph Rass: Die besetzten Gebiete der Sowjetunion als Erinnerungsorte deutscher Veteranen, in: Erinnerung an Diktatur und Krieg. Brennpunkte des kulturellen Gedächtnisses zwischen Russland und Deutschland seit 1945 (=Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 107), hersg. von A. Wirsching, J. Zarusky, A. Tschubarjan, V. Ischtschenko,  Berlin 2015, S. 135-152.
  3. Christoph Rass und Alexander Dalhouskij: Die Deportationen von Ozarichi. Ereignis und Erinnerungsort in der Geschichte Weißrusslands, in: Bunte Flecken in Weißrussland, hrsg. von Thomas Bohn u.a., Wiesbaden 2013.
  4. Christoph Rass: Ozarichi 1944. Entscheidungs- und Handlungsebenen eines Kriegsverbrechens, in: Krieg und Verbrechen. Situation und Intention, hrsg. von Timm C. Richter, München 2006, S. 197-207.
  5. Christoph Rass: “Menschenmaterial”: Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision 1939-1945(= Krieg in der Geschichte Band 17), Paderborn 2003.