Interdisziplinäre Arbeitsgruppe

KONFLIKTLANDSCHAFTEN


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LiDAR-Prospektion der Kriegsgräberstätte Dalum. Auf dem Weg zum digitalen Modell eines Gewaltorts.

 

Die Kriegsgräberstätte Dalum (Rull) (52.601525, 7.198783) im Emsland ist heute Gedenkort und Ruhestätte für Tausende sowjetische Kriegsgefangene, die in den Emslandlagern interniert waren und dort ums Leben gekommen sind bzw. ermordet wurden. Das System der Konzentrations-, Strafgefangenen- und Kriegsgefangenenlager im Emsland bildete von 1933 bis 1945 einen wesentlichen Baustein des NS-Systems und steht nun als Gedenkstätten für eine kritische Erinnerung und Auseinandersetzung mit Gewalt und Ausbeutung, Menschenverachtung und Mord, mit Täterschaft und den Schicksalen ungezählter Opfer der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Der Friedhof Dalum – einzelne Grablagen lassen sich nicht ausmachen, lediglich einige Gedenksteine, in das Kreuz der russisch orthodoxen Kirche gemeißelt ist, verstärken den Charakter eines Gedenkortes [Foto: M. Adam].

Gedenkstätte Esterwegen

Die Geschichte der "Emslandlager" dokumentiert heute die Gedenkstätte Esterwegen.

Gedenkveranstaltung auf der Kriegsgräberstätte Dalum

Im Jahr 2020 fand zum 75. Jahrestag des Kriegsendes eine Gedenkveranstaltung für die Opfer auf dem Glände der Kriegsgräberstätte Dalum statt.

Der Bereich der Kriegsgräberstätte Dalum wurde bereits vor 1945 als Lagerfriedhof des „Lagers XII (Dalum)“ genutzt, nach dem Krieg fanden weitere Beisetzungen und Umbettungen statt sowie schließlich die Umgestaltung zu einer Kriegsgräberstätte. Über die Transformation dieses Ortes vom Gewaltort, an dem die Täter ihre Opfer verscharrten, zu einem Ort der Erinnerung, an dem heute würdig dieser Opfer gedacht wird, ist bisher wenig bekannt. Am Eingang der Gräberstätte spricht eine Informationstafel von 8.000 bis 16.000 Toten. Die genaue Zahl, die Lage der Gräber, Namen und Herkunft der Opfer bleiben unbenannt. Der niedrigste und der höchste Wert der Schätzung liegen um 100% auseinander. Gesichert ist, dass ein Großteil der Bestatteten sowjetische Kriegsgefangene waren. Bis auf wenige Ausnahmen bleiben sie anonym, Gräber sind nicht markiert.

Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Konfliktlandschaften

Seit 2015 erforscht an der Universität ein interdisziplinärer Verbund gewaltüberformte Orte.

Im Projekt  Boden erinnert. Gewaltorte als Konfliktlandschaften in der Geschichtskultur, das von der Kulturstiftung des Bundes im im Programm "Jugend erinnert" gefördert wird, kooperieren die IAK und die durch die Kulturstiftung des Bundes.

 

Viele der Opfer waren während des Zweiten Weltkrieges im Emslandlager Dalum gefangen, das sich in unmittelbarer Nähe des Friedhofs befand. Das Lager selbst ist verschwunden und bleibt nur noch durch einige Backsteingebäude in der Landschaft erkennbar. Andere Opfer stammen aus den Lagern Alexisdorf, Bathorn, Wiemarschen sowie Groß Hesepe, die heute ebenfalls Teil der Gedenkstätte Esterwegen sind. Einerseits ist der Friedhof als Teil der Gedenkstäte Esterwegen zu einem Ort gelebter Erinnerungskultur geworden. Andererseits erforschen Mitarbeiter/innen der Gedenkstätte nach wie vor die Schicksale der Opfer und versuchen, den Toten ihre Lebensgeschichten wieder zu geben.

Die DJI Matrice 600 mit einem Laserscanner (RIEGL miniVUX-1UAV) sowie einer Kamera [Foto: M.Adam].

Um zur Klärung solcher Fragen beizutragen, untersuchen Wissenschaftler/innen der interdisziplinären Arbeitsgruppe Konfliktlandschaften der Universität Osnabrück die Kriegsgräberstäten Dalum im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit der Gedenkstätte Esterwegen. Nach ersten Forschungsarbeiten vor Ort hat im August 2020 die zweite Kampagne mit dem Ziel stattgefunden, besser zu verstehen, welche Spuren der ursprünglichen Bestattungen sowie der Transformationen des Geländes seit 1945 sich an der Oberfläche sowie im Untergrund erkennen lassen. Zum Einsatz kommen dabei nicht-invasive Methoden der Geoinformatik sowie der Geophysik, deren Ergebnisse die Arbeitsgruppe in die Analyse von Luftbildern, Akten und Dokumenten sowie lokaler Narrative und Zeitzeugen/innenberichte integriert.

Ein terrestrischer Laser Scanner (TLS) des Modells RIEGL VZ-400i [Foto: M.Adam].

Im August 2020 konnten nun erstmals umfassend geowissenschaftliche Verfahren und Technologien vor Ort genutzt werden: Neben einer geodätischen Vermessung des Geländes kamen zwei Drohnen (DJI Phantom sowie eine DJI Matrice 600) sowie ein terrestrischer Laserscanner zur Fernerkundung der Bodenoberfläche zum Einsatz. Der Fokus der Untersuchung lag bei der Detektion kleinster an der Oberfläche noch messbarer Spuren von Bestattungsstellen, da neben Einzelgräbern auch Massengräber auf dem Gelände vermutet werden. Mit der DJI Matrice 600 Drohne, die einen Lasersensor trägt, der durch Light Detection and Ranging (LiDAR) die Oberfläche des Geländes scannt, war es möglich, Daten für ein feinmaschiges Oberflächen- und Geländemodell zu generieren. Auf Basis solcher Modelle erhoffen sich die Wissenschaftler/innen der IAK Strukturen auf der Bodenoberfläche kenntlich machen zu können, die sich ohne einen solchen Perspektivwechsel auf das Untersuchungsgebiet durch interdisziplinäre Zusammenarbeit kaum erschließen lassen.

Neben dem Airborne Laserscanning (ALS) der DJI Matrice 600-Drohne wurde ein terrestrischer Laser Scanner (TLS) des Modells RIEGL VZ-400i eingesetzt, der durch höhere Punktdichten der so gewonnenen LiDAR-Scans auf der Mikroebene eine vom Boden aus generierte weitere Analyse der Bodenoberfläche zulässt. Das Ziel dieser zweiten Untersuchung ist eine integrierte Analyse der durch LiDAR, Georadar sowie Magnetometrie gewonnenen Daten, die eine hochaufgelöste und korrelierende Modellierungen des Gewaltortes zulassen. Die Verbindung unterschiedlicher Verfahren und Methoden von der Fernerkundung über nicht-invasive geophysikalische Untersuchungen im Verbund mit historischen Methoden bilden das Rückgrat der interdisziplinären Methodenkette der Arbeitsgruppe. Dabei stehen in Dalum nicht-invasive Verfahren im Vordergrund, um den Befund ohne archäologische Ausgrabungen untersuchen zu können und die Totenruhe zu wahren.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Weitere Informationen zur Arbeit der IAK gibt es beim Wissenschaftsblog NGHM

Die Verbindung geschichts- und kulturwissenschaftlicher Perspektiven mit der datengestützten naturwissenschaftlichen Modellierung eines Gewaltortes eröffnet nicht nur die Möglichkeit einer differenzierten Rekonstruktion der materiellen Transformation des Ortes, sondern auch einen neuen Zugang zu den Zusammenhängen zwischen den narrativen Konstruktionen des Ortes und seiner materiellen Beschaffenheit im Wandel. Eine derartige integrativ-interdisziplinäre Herangehensweise führt zu einer Zusammenschau von Befunden, die voreilige Schlüsse auf Basis eindimensionaler Forschungsergebnisse vermeidet. Stattdessen können Einzelergebnisse in Abhängigkeit anderer Forschungsperspektiven falsifiziert oder verifiziert sowie Zwischenergebnisse stets kritisch hinterfragt und diskutiert werden. Auf die Datenerhebung vor Ort folgen im Projekt nun Analysen und Auswertungen, deren Ergebnisse maßgeblich für die Planung der nächsten Untersuchungen sind. Das Ziel bleibt die Klärung der genauen Grablagen auf dem Areal des Friedhofs und damit eine genauere Dokumentation der Ruhestätte Tausender Opfer des „Dritten Reiches“. Ähnliche Fragestellungen sind auch Teil weiterer Projekte der Arbeitsgruppe, um über Erfahrungen bei der Detektion und Dokumentation von Massengräbern zur Entwicklung geeigneter Methoden und Untersuchungsdesigns beizutragen.

Die Autor*innen

Mirjam Adam, M.Ed.

Marcel Storch, M. Sc.

Dr. Andreas Stele

Dr. Thomas Jarmer

Prof. Dr. Christoph Rass