Interdisziplinäre Arbeitsgruppe

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CONFLICT LANDSCAPES: ARCHÄOLOGIE, LANDSCHAFTSKONZEPTIONEN, NARRATIVE UND PUBLIC HISTORY

Am 2. März 2023 hat die erste Ausgabe des gemeinsamen Kolloquiums des Museums- und Parks Kalkriese mit der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Konfliktlandschaften an der Universität Osnabrück mit einer Auftaktveranstaltung einen neuen Akzent in der Kooperation zwischen dem Museumspark Kalkriese und der UOS gesetzt.

 

Die Einführung in das Kolloquium, das sich mit Fragen der Erforschung, Deutung, Interpretation und Erzählung von gewaltüberformten Orten widmet, übernahm Prof. Dr. Claus von Carnap-Bornheim, vormaliger Leiter der Schleswig-Holsteinischen Landesmusseen Schloss Gottorf und aktuell kommissarischer Leiter der Grabungen in Kalkriese an der Universität Osnabrück. Sein Beitrag unterstrich die Bedeutung des Fundplatzes Kalkriese und die Notwendigkeit enger Kooperation zwischen Wissenschaft und Archäologie vor Ort und an Universitäten und Forschungseinrichtungen, gerade mit Blick auf die sich daraus ergebenden methodischen Potentiale, interepochalen Bezüge und interdisziplinären Synergien.

Die sechs folgenden Beiträge gaben in je 15 Minuten pointierte Einblicke in laufende Forschungen und Projekte mit knapper Gelegenheit zu Rückfragen aus dem Publikum.

 

Dr. Stefan Burmeister, Geschäftsführer des Museumsparks Kalkriese und Leiter der dortigen Forschungsabteilung stellt Kernideen- und Konzepte einer künftigen Ausstellung zu einem der sensationellen Funde jüngerer Zeit in Kalkriese vor: einem römischen Schienenpanzer, der dort vor wenigen Jahren geborgen werden konnte und nun Gegenstand offener Interpretationen wird. Der Befund kann in den Kontext sog. Post Battle Processes gestellt werden. In dieser Lesart haben die germanischen Sieger einen römischen Legionär gefesselt und in einer Trophäenschau inszeniert. Es gibt zahlreiche Belege aus der vorgeschichtlichen Archäologie, die Rituale solcher Triumphinszenierungen als Bestandteil des Kriegsgeschehens offenlegen. So plausibel diese Interpretation vor dem Hintergrund gängiger Gewaltnarrative scheint, so problematisch kann sie im konkreten Einzelfall sein. Es könnte auch ganz anders gewesen sein. Die archäologischen Quellen sind selten eindeutig genug, um alternative Deutungen gänzlich auszuschließen. Es lassen sich durchaus auch triviale Gründe für das Fundensemble mit dem Schienenpanzer anführen, die ohne ein vorgängiges Gewaltnarrativ auskommen. In so einer Deutung würde der Fund jedoch singulär werden und seinen kulturgeschichtlich determinierten Handlungskontext verlieren. Letztlich sind es aber nicht zuletzt die Pfadabhängigkeiten unserer Interpretationen, die solche Kontexte herstellen und begründen. Sie sind daher stets und bis in Ausstellungen hinein zu reflektieren.

 

Diese Perspektive vertiefte Martin Berghane, MA, Volontär im Museum Kalkriese, im zweiten Beitrag. Er rückte eine der Kernforderungen der Geschichtsdidaktik in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen und diskutierte die Vermittlungspotentiale der kommenden Kalkrieser Sonderausstellung „Cold Case. Tod eines Legionärs“ in Bezug auf geschichtstheoretische Reflexionen. Dabei bediente er sich der Geschichtstheorie von Michel de Certeau, einem in Deutschland bislang noch wenig rezipierten französischen Historiker. Herausarbeiten konnte Berghane auf diese Art und Weise, dass am römischen Schienenpanzer exemplarisch die Diskussion verschiedener historischer Modelle zu Triumphinszenierungen oder Plünderungsprozessen nachvollzogen werden können und auch Ausstellungen das Potential besitzen, die prinzipielle Unabgeschlossenheit des historischen Diskurses plastisch vor Augen zu führen.

 

Andre Jepsen, MSc., Geograph und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team der Neuesten Geschichte sowie der Arbeitsgruppe Konfliktlandschaften, griff in seinem Beitrag konkrete geoarchäologische Messergebnisse auf, die bei einer gemeinsamen Kampagne des Museumsparks Kalkriese und der IAK im Dezember 2022 erhoben werden konnten. Auf einer Feldflur in der Nähe des Museumsparks  konnten einigeMagnetfeldanomalien detektiert werden. Am Beispiel der geophysikalischen Befunde demonstrierte Andre Jepsen die vielschichtigen Herausforderung der Erhebung, Analyse, Interpretation und Validierung von Daten, die mit nicht-invasiven Methoden gewonnen und interdisziplinär bearbeitet werden. Deutlich wurden dabei nicht nur die beträchtlichen Potentiale geophysikalischer Methoden für die Archäologie, sondern auch die damit verbundenen hohen Anforderungen an der Kontextualsierung der Messergebnisse und den Umgang mit dem Archiv Boden

 

Prof. Dr. Christiane Kunst, Professorin für Alte Geschichte an der Universität Osnabrück, vermittelte in ihrem Vortrag Einblicke in eines ihrer laufenden Forschungsprojekte, das sich mit Gewalterzählungen von Germaninnen in römischen Quellen befasst – einem in der Forschung bisher vollkommen übersehenen und systematisch noch nicht bearbeiteten Topos. Klar wurde dabei, dass die teils drastischen Erzählungen über die Gewalt von als “Germaninnen” gelesenen Frauen in römischen Quellen kaum als Wirklichkeitsbeschreibungen gedeutet werden können. Sie vermittelten, so die Deutung der Referentin, dem römischen Publikum vielmehr gegenwartsbezogene wechselnde Zuschreibungen an die divergente Kultur der “Barbaren”, die diese in der Werte- und Weltordnung Roms jeweils neu verorteten.

Den Sprung zu neuzeitlichen Themen machte im vierten Vortrag Mirjam Adam, M.Ed., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Neueste Geschichte und Koordinatorin dort angesiedelter Projekte zu Konfliktlandschaften des 20. Jahrhunderts. Sie berichtet aus ihren theoretischen Überlegungen zu Landschaftskonzepten im Kontext ihrer Dissertation, die sich mit dem Ineinandergreifen materieller und narrativer Dimensionen bei der Produktion des “Schlachtfeldes Hürtgenwald”, einem Gewaltort des Zweiten Weltkrieges, befasst. An einer Reihe empirischer Beispiele konnte Mirjam Adam dabei demonstrieren, wie sich verschiebende Zuschreibungen, Deutungen und Transformationen von Landschaft in deren materieller Ausprägung – durch das Errichten, Verändern oder Beseitigen von Erinnerungs- und Gedenkzeichen etwa – spiegeln und diese rückwirkend auch die ortsbezogenen Narrative beeinflussen. Der Dialog zwischen der Erzählung neuzeitlicher “Schlachtfelder” und des antiken Kampfplatzes bei Kalkriese ergab sich unmittelbar.

Einen weiteren Einblick in laufende Projekte der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Konfliktlandschafen steuerte zum Abschluss Lukas Hennies, MA, bei, der an der Professur für Neueste Geschichte derzeit das Projekt “Tödliche Zwangsarbeit in Karya” koordiniert, das von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft gefördert wird. Das Projekt befasst sich mit der Dokumentation und Erforschung eines Ortes in Griechenland, an dem 1943 jüdische Männer aus Thessaloniki bei Gleisbauarbeiten Zwangsarbeit für die deutschen Besatzer verrichten musten. Vermutet wird, dass die Opfer später im Vernichtungslager Auschwitz oder sogar vor Ort ermordet wurden. Nun erforscht ein internationales Konsortium, an dem aus Deutschland die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, die Stiftung Topographie des Terrors mit ihrem Dokumentationszentrum Zwangsarbeit sowie die Universität Osnabrück beteiligt sind, den Schauplatz dieses Verbrechens im Kontext von Shoah, Vernichtungskrieg und deutscher Besatzungsherrschaft im Zweiten Weltkrieg mit dem Ziel, eine deutsch-griechische Ausstellung dazu zu erarbeiten. Im April 2023 bricht eine Forschungsprospektion aus Osnabrück unter Leitung von Prof. Dr. Christoph Rass nach Griechenland auf, um die dazu gebotenen Feldforschungen durchzuführen.

 

In der Diskussion der Vorträge, die von Christoph Rass moderiert wurde, standen vor allem die methodischen und theoretischen Überlegungen zu Dokumentation, Interpretation und Vermittlung von Gewaltorten und Gewaltereignissen, die sich durch alle Beiträge zogen, im Zentrum. Klar wurde dabei, wie zielführend eine interdisziplinäre und reflexive wissenschaftliche Praxis sein kann, die Methodenpotentiale nutzt aber vorschnelle Vereindeutigungen zugunsten differenzierter Deutungen und einer produktiven Offenlegung der unausgesetzten Re/Produktion von Geschichte über Vergangenheit – auch durch Wissenschaft – vermeidet. Ganz unmittelbar hat dies der Dialog zwischen Archäologie, Neuester und Alter Geschichte, Geographie und Geophysik sowie Kulturwissenschaft und Museologie in unserem Kolloquium unter Beweis gestellt.

Eine zweite Ausgabe der Veranstaltung folgt im Sommersemester 2023.

 


Programmablauf des Kolloquiums am 2. März 2023

CONFLICT LANDSCAPES: ARCHÄOLOGIE, LANDSCHAFTSKONZEPTIONEN, NARRATIVE
UND PUBLIC HISTORY.

Programm

Eröffnung: Prof. Dr. Claus von Carnap-Bornheim
(wiss. Leitung der Grabungen in Kalkriese)

Dr. Stefan Burmeister (Kalkriese): Post Battle Processes als Gewaltnarrative. Gewalt in der Vergangenheit oder Gewalt an der Vergangenheit?

Martin Berghane (Kalkriese): Den Verlust leugnen? Die Sonderausstellung „Cold Case. Tod eines Legionärs“ zwischen Begräbnis und Reanimation von Vergangenheit.

André Jepsen (UOS): Ergebnisse der Magnetikmessung auf der Flur Sommerfrüchte, Dezember 2022.

Prof. Dr. Christiane Kunst (UOS): Gewalterzählungen von Germaninnen am Rande von Schlachtfeldern.

Mirjam Adam (UOS): Warscapes, battlescapes, conflict landscapes?
Überlegungen zu Landschaftskonzeptionen im Kontext historischer Konfliktlandschaften.

Lukas Hennies (UOS): Tödliche Zwangsarbeit in Karya, Griechenland. Eine interdisziplinäre Forschungsprospektion.

Moderation: Prof. Dr. Christoph Rass