Interdisziplinäre Arbeitsgruppe

KONFLIKTLANDSCHAFTEN


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Einführung und Ziele der Prospektion

Der Zweite Weltkrieg und die NS-Gewaltherrschaft haben Millionen Opfer gefordert und eine vielschichtige und mehrdimensionale Topographie des Terrors, Todes, der Gewalt und Zerstörung hinterlassen. Dazu gehören die Tatorte und vor allem die Gräber der Opfer von Krieg, Gewaltherrschaft und Genozid, insbesondere der Shoah, die bis heute die eindringlichsten und unmittelbarsten Spuren jener Zeit bleiben. 

Eine noch ungelöste Aufgabe in diesem Zusammenhang ist in vielen Fällen nicht nur eine angemessene Bewahrung und Dokumentation jener Orte, sondern auch das Etablieren von anerkannten Gedenkorten. Ganz wesentlich ist noch immer auch das Auffinden der Gräber zahlloser noch unbekannter Opfer, die in unmarkierten Gräbern ruhen. 

Abb. 1: Die einbetonierte Grabplatte Hermann Henschkes und Walter Models im Moment der Messung des Georadarprofils GP3 (vgl. mit Abb. 7 und 11).


Bereits seit einigen Jahren bietet der Einsatz nicht-invasiver Methoden der Fernerkundung und Geophysik dabei besondere Chancen, um die verbleibenden Opfer zu finden und ihnen eine angemessene Ruhestätte zu geben. Dies zum einen, da entsprechende Ansätze die Suche nach unbekannten Grablagen in großen Arealen ermöglichen. Zum anderen wahren die genannten Methoden die Totenruhe, die ein grundlegender Parameter bei der Auseinandersetzung mit Friedhöfen und Gräbern ist. 

In der Holocaust-Forschung haben sich, in einem neuzeitlichem Kontext, entsprechende nicht-invasive Methoden bereits etabliert [Sturdy Colls 2012, 2015; Vonnak et al. 2020]. Ihr Einsatz kann an Erfahrungen aus der Schlachtfeldarchäologie und der Konfliktlandschaftsforschung anschließen, die sich ebenfalls bereits seit geraumer Zeit mit dem Einsatz nicht-invasiver Methoden bei der Untersuchung von Friedhöfen und Gräbern bedienen [Majewska 2017; Blau et al. 2018; Downs et al. 2020]. Gemeinsam ist diesen Forschungsfeldern, dass die Todesorte und Grablagen von Opfern kriegerischer oder genozidaler Gewalt, etwa in Vernichtungs- oder Konzentrationslagern oder auch im Umfeld von Kriegsgefangen- oder Internierungslagern, oft unbekannt geblieben, kaum dokumentiert oder durch nachträgliche Eingriffe wie Exhumierungen, Umbettungen oder ihre Zerstörung durch Baumaßnahmen stark gestört sind - oder schlicht vergessen wurden. Eine systematische Detektion, Dokumentation und Kennzeichnung, bei der geschichtswissenschaftliche und naturwissenschaftliche bzw. archäologische Methoden integriert eingesetzt werden, ist daher vielerorts eine drängende Notwendigkeit. 

Geht es um Forschung, Dokumentation und Vermittlung im Kontext der Opfer von Gewalt und Genozid, erfolgt die Annäherung und der Umgang mit den Befunden in bestimmten Rahmungen. Dies gilt ebenso für die Shoah wie für die Aufklärung rezenter Kriegsverbrechen [Haglund et al. 2001; Kalacska und Bell 2006; Verpoorten 2012]. Ein anderes Gebiet, in dem solche Ansätze zum Einsatz kommen, ist die Erforschung von ,Soldatenfriedhöfen’ und ,Kriegsgräberstätten’ sowie vergleichbarer Anlagen bzw. von Grablagen auf Gefechtsfeldern kriegerischer Konflikte, insbesondere auch aus dem Kontext der Weltkriege bzw. des 20. Jahrhunderts [Kostyrko und Kobiałka 2020; Rubio-Melendi et al. 2018; Pollard und Banks 2013; Conyers 2006]. 

Dabei ist die Konnotation eine andere, da die zu untersuchenden Gräber kritisch in Bezug auf die Rolle von Soldaten als Gewaltakteure betrachtet werden müssen. Denn die Rolle von Soldaten ist durchaus ambivalent: Kombattanten verursachen als Handlungsträger kriegerischer Gewalt Tod und Verwundung, die Gewaltorte produzieren - bis sie mitunter selbst dieser Gewalt zum Opfer fallen. “Soldatenfriedhöfe” sind dabei im 20. Jahrhundert zunächst eher Orte einer unkritischen Heldenverehrung geworden als Ankerpunkte für eine kritische Auseinandersetzung mit der ,Produktion’ von Tod durch Krieg und der Doppelrolle von Soldaten als Täter und Opfer [Rass und Lohmeier 2010].

Abb. 2: Die Grabplatte mit dem Namen Walter Models ist inzwischen eingesenkt und einbetoniert worden, da Teile der Grabplatte zuvor entwendet wurden.

Bewegen wir uns im Kontext des “Dritten Reiches” bzw. des Zweiten Weltkrieges verlangen die Art und Weise der deutschen Kriegführung sowie die intensive Verstrickung der Wehrmacht - und anderer militärischer/paramilitärischer Organisationen des NS-Staates - in die Verbrechenskomplexe von Vernichtungskrieg, Genozid und Holocaust einer Annäherung an (Soldaten-)Gräber eine kritische Differenzierungen ab. Die Ambivalenz der getöteten Soldaten als Gewaltakteure und Gewaltopfer gilt es mitzudenken, auszuhalten und kritisch zu thematisieren, wenn es um die Bedeutungszuschreibungen geht, die solche Orte und ihre Erforschung erfahren.

Dies gilt umso mehr, wenn es um die Untersuchung von Gräbern und Grablagen geht, die prominenten TäterInnen bzw. KriegsverbrecherInnen zuzurechnen sind. Nicht zuletzt, weil deren Gräber im Vergleich zur häufig anonymen Beisetzung der Opfer deutlich markiert sind, mitunter gar als “Ehrenmale” oder Gedenkorte inszeniert und bisweilen zu Schauplätzen problematischer geschichtspolitischer und erinnerungskultureller Praktiken und Zuschreibungen werden (s. Abb. 1 und 2). Unter den zahlreichen aktuellen Fällen stechen etwa die Auseinandersetzungen um das Grab von Alfred Jodel auf der Fraueninsel im Chiemsee heraus. Dem 1945 als Kriegsverbrecher hingerichteten Wehrmachtgeneral ist dort ein Scheingrab gewidmet, das zum Schauplatz kritischen Protestes und affirmativer Aufmärsche wird [Spiegel 2019; BR 2020]. Wie viele andere Soldatenfriedhöfe ist auch die Kriegsgräberstätte Vossenack immer wieder Schauplatz von Gedenkveranstaltungen, die ein einseitiges und bisweilen revisionistisches Geschichtsbild rund um die im Zweiten Weltkrieg getöteten Wehrmachtangehörigen reproduzieren [ibs; DF 2017; Möller und Fings 2016]

Die Bedeutung des Grabes auf der Kriegsgräberstätte Vossenack in der Eifel, das dem “Generalfeldmarschall” der Wehrmacht, Walter Model, zugeschrieben wird, verdeutlicht solche Zusammenhänge exemplarisch und kann als ein Kristallisationspunkt solcher Praktiken gelten. Die Kriegsgräberstätte Vossenack wurde, wie die benachbarte Kriegsgräberstätte Hürtgen, nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichtet, um dort die sterblichen Überreste von Soldaten, später auch von Zivilisten, zu bestatten, die in der Endphase des Zweiten Weltkrieges im Rheinland getötet worden waren. Über Jahrzehnte erfolgten dort Umbettungen, die zu einer Verdichtung der Grablagen auf den genutzten Flächen führten. Eine dieser Umbettungen betraf den prominenten und überzeugten Nationalsozialisten Walter Model, der möglicherweise Mitte der 1950er Jahre nach Vossenack umgebettet wurde, wo das Grab heute in der Mitte des Gräberfeldes liegt (s. Abb. 7).  

Seitdem ein Grab von Walter Model auf dem Friedhof angelegt ist, hat sich dieses mit der prominenten Inszenierung des Grabes eines “Generalfeldmarschalls” inmitten “seiner” Soldaten zu einem Ort entwickelt, an dem ein regelmäßiger Zulauf von BesucherInnen erahnen lässt, dass es es sich dabei nicht nur um kritisch informierte Menschen handelt, die einen Gewaltort erkunden, sondern dass Interesse aus einem Spektrum dominiert, das von dark tourism bis zu revisionistischen, militaristischen und rechtsradikalen Einstellungen herrührt und die wirkmächtigen Bedeutungszuschreibungen unterstreicht, in deren Mittelpunkt jener überzeugte Nationalsozialist und Kriegsverbrecher steht. 

Dabei irritiert der Umstand, dass es alles andere als geklärt scheint, ob es sich bei dem Grab, das Walter Model zugeschrieben wird, um die Ruhestätte seiner sterblichen Überreste handelt oder um ein symbolisches Grab. Denn die Umstände der Umbettung Mitte der 1950er Jahre sind im Wesentlichen ungeklärt und unbelegt. Diese Beobachtungen und Überlegungen haben eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung des Grabes und seiner Entstehung angeregt, die auch eine geophysikalisch-geoarchäologische Prospektion erfordern.

Die vorliegende Fallstudie integriert Magnetometrie und Georadar als ein Methodenpaar, das bei der Beforschung von Grablagen zwar bereits eingesetzt wird [Karski et al. 2017], jedoch als praktisch und theoretisch noch weiter entwickelt und breiter erprobt werden muss. Neben den empirischen Befunden interessieren daher auch Erkenntnisse zum Potential einer Methodenkette, die beim Ansatz der IAK von  Herangehensweisen der Geoinformatik und Fernerkundung über die naturwissenschaftlichen Methoden der Geophysik und Geoarchäologie bis zur Archäologie reicht und eng mit geschichts- und kulturwissenschaftlichen Herangehensweisen verknüpft wird.

Dieser Arbeitsbericht bietet eine kurze Einführung in den historischen Hintergrund und einen Einblick in den Stand der Untersuchung und referiert erste Befunde einer zunächst explorativen Untersuchung der Walter Model zugeschriebenen Grablage und ihres Umfeldes auf der Kriegsgräberstätte Vossenack im August 2020. Diese Untersuchung verfolgte das Ziel einen Einblick in den aktuellen Zustand des untertägigen Teils des Grabes zu geben und zugleich eine Planungsgrundlage für weitere, ggf. archäologische Maßnahmen herzustellen.

Die aktuelle Prospektion ist Teil des Forschungsprojekts “Lernort ,Schlachtfeld’ Neue Didaktik einer Konfliktlandschaft Hürtgenwald”, das die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Konfliktlandschaften der Universität Osnabrück unter Leitung von Prof. Dr. Christoph Rass, gefördert durch den Landschaftsverband Rheinland, zwischen 2020 und 2022 durchführt. Projekte der Osnabrücker Arbeitsgruppe nehmen gezielt Grablagen im Kontext von Konfliktlandschaften in den Blick. Aktuell werden neben der Kriegsgräberstätte Vossenack auch Untersuchungen auf der Kriegsgräberstätte Dalum sowie auf dem Ehrenfriedhof des Lagers II / Aschendorfermoor im Emsland durchgeführt.
Die Leitung der geophysikalisch-geoarchäologischen Untersuchungen auf der Kriegsgräberstätte Vossenack lag bei Dr. Andreas Stele und erfolgte in Kooperation mit Frank Möller, der eine umfassende Rekonstruktion der Zusammenhänge zur Klärung der Frage anstrebt, ob Walter Model tatsächlich auf die Kriegsgräberstätte Vossenack umgebettet worden ist. 

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