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Zum historischen Kontext: Die Kriegsgräberstätte Vossenack

Die Kriegsgräberstätte Vossenack wurde in den Jahren 1949 bis 1952 durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge angelegt. Den Entwurf dazu lieferte der Architekt Robert Tischler (1885-1959). Tischler gilt als Erfinder der Symbolkreuze, die in Dreier- und Fünfergruppen auf der Kriegsgräberstätte positioniert wurden und dabei neben der christlichen Botschaft, die von ihnen ausgeht, „auf eine militärische Formation anspielen“ [Ulrich et al. 2019, S. 242] (s. Video 1). Die Namen der Toten wurden – sofern sie bekannt waren – in kleine rechteckige Steinplatten eingraviert (s. a. Abb. 1). Bestattet bzw. umgebettet wurden auf der Kriegsgräberstätte vor allem deutsche Soldaten, die zuvor auf Gemeindefriedhöfen begraben worden waren; hinzu kamen Getötete, die in den umliegenden Wäldern und aus provisorischen Gräbern geborgen werden konnten. Auf der Kriegsgräberstätte Vossenack liegen mehr als 2.300 Kriegstote. Selbst heute finden dort noch weitere Bestattungen von sterblichen Überresten derjenigen statt, die bei Grabungen gefunden werden (Video 1).

Abb. 3: Das historische Foto zeigt die systematische Anlage von Gräbern auf der Kriegsgräberstätte Vossenack. Es muss Ende der 1940er-, Anfang der 1950er-Jahre aufgenommen worden sein und vermittelt einen Eindruck, wie und wie tief damals die Gräber ausgehoben wurden [Quelle: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Bildarchiv].

Aus historischen Quellen geht hervor, dass bei der Anlage der Gräber auf der Kriegsgräberstätte Vossenack teils systematisch (Abb. 3), teils in einzelnen Umbetungsereignissen (Abb. 4) bestattet wurde. Im Rahmen eines einzelnen Umbettungsereignisses sollen auch die sterblichen Überreste von Walter Model auf die Kriegsgräberstätte Vossenack gebracht worden sein. Die Frage, ob Walter Models sterbliche Überreste tatsächlich auf die Kriegsgräberstätte Vossenack überführt wurden, ist in den zurückliegenden 65 Jahren öffentlich nicht gestellt worden. Ein Blick in die Korrespondenzen verschiedener Verwaltungsebenen des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) untereinander und mit weiteren Institutionen sowie in diejenigen des Kreises Düren mit verschiedenen Akteuren lassen aber erhebliche Zweifel an dieser vorgeblichen Umbettung aufkommen. Eine umfassende Darstellung des Sachverhalts folgt im Jahrbuch des Kreises Düren 2021, das im Herbst 2020 erscheinen wird, in einem Aufsatz von Frank Möller [Möller 2020]. Die folgende Darstellung fasst die Befunde vorab zusammen.

Abb. 4: Dieses Foto zeigt ein historisches Dokument aus dem Stadt- und Kreisarchiv Düren. Es beinhaltet einzelne Protokolle zu Umbettungen auf der Kriegsgräberstätte Vossenack im Spätsommer 1951 [Foto und Recherche: Frank Möller].

Nach Aussagen seines Sohnes Hansgeorg Model (1927-2016) beging “Generalfeldmarschall” Walter Model (1891-1945) am 21. April 1945 Suizid „in einem Wald bei Lintorf in der Nähe von Duisburg. Dort wurde er zunächst in einem Feldgrab beigesetzt. Am 26. Juli 1955 erfolgte die Überführung der sterblichen Überreste auf den Soldatenfriedhof Vossenack durch den Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge“ [Model und Bradley 1991, S XII]. Alle Erzählungen über die genauen Todesumstände Models beruhen letztlich auf einer 1951 abgegebenen eidesstattlichen Versicherung seines Adjutanten Theodor Pilling [Model und Bradley 1991, S. 386-387]. Der genaue Todesort Models ist bis heute jedoch weder bekannt noch wurde er dauerhaft markiert. Fotos von der Beisetzung existieren nicht. Aus dem Testament Walter Models geht hervor, dass er nicht umgebettet werden wollte. Auch seine Familie war dagegen. Ein gutes Jahr vor der angeblichen Umbettung teilte Hansgeorg Model der Hauptgeschäftsstelle des VDK in Kassel mit, er wolle die Stelle, an der sich sein Vater im Ruhrgebiet erschossen habe, in Kooperation mit dem VDK, schlicht aber würdig herrichten lassen. Entsprechend drängt sich die Frage auf, wieso also dennoch eine Umbettung vollzogen worden sein soll und unter welchen Umständen.

Aus den überlieferten Dokumenten geht hervor, dass die Landesgeschäftsstelle NRW des VDK in Essen von dem Vorgang völlig überrascht wurde. Der Umstand einer erfolgten Umbettung wurde ihr von dem lokalen Verantwortlichen, dem später zur Legende gewordenen „Totengräber“ Julius Erasmus, in knappen Worten mitgeteilt. Eine schriftliche Genehmigung für die Umbettung hatte nicht vorgelegen. Auch eine Skizze des Ortes, von dem aus umgebettet worden sein soll, existiert nicht, ebenso gibt es kein reguläres Umbettungsprotokoll.

Die Akteure der Umbettung waren Hansgeorg Model, der damit offenbar gegen den Wunsch seines Vaters handelte, und Oberst a. D. Konstantin von Béguelin als Vertreter des VDK. Von Béguelin hatte die besondere Stellung eines Beauftragten am Sitz der Bundesregierung (BiB) des VDK inne. Der Posten war zur Kontaktpflege mit Vertretern aus Politik und Verwaltung geschaffen worden und damit von erheblicher Relevanz.

Es ist denkbar, dass Konstantin von Béguelin und Hansgeorg Model sich nicht erst bei der Planung der Umbettung begegnet sind, sondern sich bereits zuvor gekannt haben. Von Béguelin war während des Krieges im Oberkommando der Wehrmacht als Bearbeiter von Kriegsgräberfragen tätig gewesen. Nach Ende des Krieges hielt er im Rahmen seiner Arbeit für den Volksbund zahlreiche Verbindungen zu Soldatenverbänden und Traditionsgemeinschaften, darunter auch zur „Traditionsgemeinschaft Großdeutschland“. Hansgeorg Model wiederum war als Offiziersanwärter Ende 1944 zum Ersatztruppenteil der „Sturmgeschützbrigade Großdeutschland“ versetzt worden. Nach dem Krieg machte er Karriere in der Bundeswehr. Eine Verbindung beider über einen Veteranenverband ist nicht ausgeschlossen.




Die ungeklärten Umstände der Umbettung stellen die Frage, ob die Anlage eines Grabes für Walter Model auf der Kriegsgräberstätte Vossenack symbolischen Charakter hatte. Ruhen in dem auf dem Friedhof markierten Grab also nicht dessen sterbliche Überreste, sondern allenfalls einige Gegenstände aus seinem Besitz? Mit einer solchen fingierten Umbettung wäre Walter Models testamentarischer Wille respektiert worden und der Familienfrieden gewahrt geblieben. Damit würde sich auch erklären lassen, warum die Umbettung so ungewöhnlich konspirativ vollzogen wurde. Das gemeinsame Ziel von Hansgeorg Model und Konstantin von Béguelin hätte somit darin bestanden, die Grundlagen für einen militärischen Mythos zu schaffen: den Mythos vom “Generalfeldmarschall” als angesehenen militärischen Führer, der inmitten “seiner” Soldaten ruht. Damit wären die Hitlertreue Models, seine Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Ideologie und seine Beteiligung an Kriegsverbrechen in der Sowjetunion an den Rand der Betrachtungen gerückt worden.

Für eine bewußte Inszenierung der Umbettung in diesem Sinne spricht als Indiz der Umstand, dass die Grabstelle für Walter Model in der Mitte des Gräberfeldes platziert wurde. Dazu musste eigens ein namenlos gebliebener Toter aus seinem Grab entfernt und an den Rand des Friedhofs verlegt werden. Auf diese Weise wurde der prominente und symbolisch bedeutsame Platz für das Grab eines „Generalfeldmarschalls“ geschaffen - ein ungewöhnlicher Vorgang, der durch den Durchschlag eines Schreibens vom 27. Juli 1955 an den VDK belegt ist, der im Stadt- und Kreisarchiv Düren (Moderne Akten 4325) überliefert ist.

Um den Sachverhalt zu prüfen und ggf. zu dekonstruieren ist es nach der Ausschöpfung der Archivrecherchen geboten, zu ermitteln, ob Walter Models sterbliche Überreste nach Vossenack umgebettet wurden, ob es sich also um ein “Soldatengrab” oder ein symbolisches Grab handelt. Ein erster Schritt dieser Prüfung besteht in einer nicht-invasiven Untersuchung der materiellen Qualität des Areals. Die Prospektionsgeophysik kann dabei keinen endgültigen Nachweis über die Zuordnung der Grabstelle zu einer bestimmten Person liefern, wird aber die Struktur und ggf. Art der Verfüllung des untertägigen, nicht sichtbaren Teils der Grablage offenlegen.

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